Historischer Verein Memmingen

Geschichtsforschung - Heimatpflege - Denkmalschutz

Sanierungsgebiet zwischen Kalch-, Bahnhof- und Maximilianstraße (Rosenviertel)

Die Geschichte des "Rosenviertels" reicht - anders als sein früherer Name "Bahnhofsareal" vermuten lässt - weit ins Mittelalter zurück. An seinen noch erhaltenen Gebäuden kann man die Stadtgeschichte mehrerer Jahrhunderte ablesen. Seit der Trassierung der Bahnstrecke 1862/63 hat sich das damals von der Stadtmauer weitgehend "befreite" Gebiet stark verändert. Bahnhofstraße und Maximilianstraße wurden zu modernen Geschäftsstraßen. Die Errichtung eines Lichtspieltheaters 1938/39, die Fliegerangriffe 1944/45 sowie einige Abbrüche in der Nachkriegszeit (u.a. Heidengasse 12, zuletzt im Oktober 2014 an der Bahnhofstraße) hinterließen im Quartier schmerzhafte Spuren.

Seit 2011 weist der Historische Verein auf bemerkenswerte Erinnerungsorte innerhalb des Sanierungsgebietes hin (siehe Stellungnahmen weiter unten). Im Areal sind Spuren reichsstädtischer Geschichte (Stadtmauerreste, Gebäude an Kalchstraße, Rosen- und Heidengasse) ebenso zu finden wie gründerzeitliche Bauwerke aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Ein erheblicher Teil des Areals befindet sich in der Altstadt und verdiente eigentlich die Namen "Zimmerhüttenareal" oder "Radareal". Das Quartier schließt östlich an die Altstadtbereiche beim "Weißen Ross" sowie entlang von Heiden- und Rosengasse an und ist mit diversen eingetragenen Denkmälern Teil des Ensembles "Kalchvorstadt" mit seinen historischen Mittelpunkten Salzstadel und Werkhaus. Erst östlich der 1862 abgebrochenen Stadtmauer kann von einem "Bahnhofsareal" die Rede sein, das aber - wort- und sinngemäß - alle weiteren Gebäude entlang von Bahnhofstraße und Bahntrasse miteinschließen sollte - im Norden die Alte Post (MeWo Kunsthalle), im Süden den ehemaligen Güterbahnhof (ZOB) sowie im Osten jenseits des Eisernen Stegs das Gaswerk (Stadtwerke). Der Historische Verein plädiert in diesem Sinne für eine Teilung des Sanierungsgebietes in zwei (oder mehr) Bereiche, also ganz schlicht in:

  • Häuser in der Altstadt und
  • Gebäude an der Bahnhofstraße.

Neubauten - sofern nötig - sollten sich in das jeweilige Ensemble (mittelalterliche oder frühneuzeitliche Altstadt bzw. gründerzeitliche Stadterweiterung) einfügen, was eine kleinteilige Nutzung der Grundstücke in auch höhenmäßig verminderten Dimensionen zur Folge hätte. Alle Maßnahmen des 20. Jahrhunderts - vom Kinobau 1938/39 bis zum Maxi-Center 1976 (später Maxx-Forum, jetzt Maximilians) - taugen nicht als Vorbilder für anstehende städtebauliche Planungen (Infos).

14. Jahrhundert (Stadtmauer)
15./16. Jahrhundert (Heiden- und Rosengasse)
16./17. Jahrhundert (Kalchstraße)
19. Jahrhundert (Bahnhof- und Maximilianstraße)
20. Jahrhundert (Kino)

  

Stellungnahmen und Veröffentlichungen

Flyer "Der Vergangenheit eine Zukunft geben" (2011)

Essay "Ein Memminger Palais am Tor zur Welt" (2014)

Mit der Abtragung des Kalchtores und der Stadtmauerpartie bis zum Lindentörle begann im Januar 1862 für Memmingen ein neuer Zeitabschnitt. Schon im Oktober des gleichen Jahres konnte das neue Bahnhofsgebäude und damit das Tor zur Welt eröffnet werden. Bürger und Kaufleute siedelten sich entlang der Bahnhofstraße an – darunter der Fabrikbesitzer Philipp von Hartlieb, Sprößling einer reichsstädtischen Patrizierfamilie (1807-1875). Die Entwürfe für das großbürgerliche Palais stammten von seinem Schwiegersohn, dem kgl. Bauinspektor Hugo Kern von Kernried, 1887 ging das Anwesen an Philipp Vogler vom Gasthof zum Falken über; Pläne für eine Umwandlung des Hauses in ein Hotel mit Restaurant stießen allerdings auf Ablehnung beim Stadtmagistrat. Das Wohnhaus wurde ab 1905 zur Heimat für die Familie des jüdischen Pferdehändlers Max Guggenheimer, ehe die nationalsozialistische Judenverfolgung Guggenheimer 1939 zur Betriebsaufgabe, zum Hausverkauf und zur Emigration nach Brasilien zwang. Zum von der Stadt beabsichtigten Abbruch des Hauses kam es nicht. 1945 bezog der US-amerikanische Geheimdienst CIC einige Räume. Anfang der 50er Jahre wurde das Haus rückerstattet und schließlich an die Raiffeisenbank verkauft, die dort eine Filiale einrichtete.

Statement "Möglichkeiten und Grenzen moderner Architektur" (2015)

Nicht nur die ältesten Gebäude einer Stadt und ihre weltlichen oder kirchlichen Hauptsehenswürdigkeiten prägen das Bild einer Stadt - es sind dies auch die mehr oder weniger bedeutenden, die mehr oder weniger alten Häuser an den Straßen und Plätzen oder entlang des Stadtbaches, sofern sie Teil eines erhaltens- und bemerkenswerten Ensembles sind. Alle zusammen verleihen ihrem Ensemble einen unverwechselbaren Charakter, erzählen sie doch von der Geschichte des Stadtquartiers und vom Leben und Arbeiten seiner Bewohner.

Seit der Bahnverkehr gegenüber dem Individualverkehr auf Autobahnen und Bundesstraßen ins Hintertreffen geraten ist, haben Platz, Straße und Gebäude vor dem Bahnhof ihre einstige singuläre Bedeutung eingebüßt. So manches reichsstädtische oder gründerzeitliche Gebäude ist in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Stadtbild verschwunden. Eine erneute Durchführung großflächiger Sanierungen würde das Zerstörungswerk weiter fortsetzen und dem Stadtquartier seinen individuellen Charakter rauben. Ein überdimensionierter Solitärbau in zweitgenössischer Architektur steht in einem unvereinbaren Kontrast zur kleinteiligen Bebauung in der (reichsstädtischen) Kalchstraße, in der (seit Jahrzehnten modernisierten, aber meist noch kleinparzellierten) Maximilianstraße und in der (gründerzeitlichen) Bahnhofstraße.

Essay "Memmingens erste Malzfabrik – Historischer Gewerbestandort und städtbaulicher Akzent" (2015)

1871 eröffnete August Forster an der Ecke Bahnhof-/Kalchstraße eine Malzfabrik. Zur Jahrhundertwende arbeiteten 6 bis 7 Personen an sieben Tagen in der Malzfabrikation. An ein großes Gerste-Magazin im Südflügel der Malzfabrik (mit einem großen Malzkeller im Untergeschoss) schlossen sich im Nord- und Westflügel die Wohnräume für Eigentümer und Dienstpersonal an, die jedoch schon bald im Erdgeschoss für gewerbliche Zwecke genutzt wurden. Im hinteren Bereich überragte eine mehrstöckige, kohlebefeuerte Malzdarre das Anwesen. In diesem Turm wurde das Malz am Ende des Produktionsprozesses (Reinigen und Einweichen der Gerste, anschließend Keimen zur Bildung von Enzymen) getrocknet. August Forsters Sohn und Nachfolger Josef Forster war auch Handelsrichter beim Landgericht Memmingen und Mitglied des Aufsichtsrates der 1913 gegründeten Volksbank Memmingen. Seine besondere gesellschaftliche Stellung kam auch in der Verleihung des Titels „Kommerzienrat“ zum Ausdruck. 1906 ging die Malzfabrik als Werk 4 in den Besitz der bekannten „Münchner Export-Malzfabrik AG“ über. Im Jahr 1957 erwarb die Hirschbrauerei Graf (Ottobeuren) das Gebäude mit der Absicht, im südlichen Trakt ein Hotel mit Bar und bürgerlichem Restaurant einzurichten. Im Erdgeschoss des Eckbaues fand schließlich ein „Feneberg-Selbstbedienungsladen“ Aufnahme, der nach seiner Eröffnung im Herbst 1958 zum Tagesgespräch in Memmingen wurde.

Vortrag "Historische Authentizität in Memmingen" (März 2018)

Am Donnerstag, 1. März 2018 referierte PD Dr. Stefan Lindl vom Lehrstuhl für Schwäbische und Bayerische Landesgeschichte an der Universität Augsburg über „Historische Authentizität in Memmingen. Städtebau und das gestalterische Spiel mit der Geschichte jenseits der Originale“. Am Beispiel des Bahnhofsareals zeigte er auf, welche reichhaltigen Möglichkeiten es gibt, mit Geschichte jenseits der Originale ein Stadtquartier mit authentischen Gebäuden in zeitgemäßer Architektur zu gestalten. Im April 2019 hat der der Referent seinen Vortrag auf seiner Webseite veröffentlicht - mit Hinweisen zu allgemeine Möglichkeiten, ökonomische und ökologische Stadtentwicklung zu betreiben, deren zentraler Wert Authentizität ist. Der Essay umfasst das Historische sowie das zukünftige Historische und gibt eine Anregung: Ökonomisch nachhaltig und damit ökonomisch wertschöpfend sind Stadtentwicklungskonzepte nur dann, wenn sie Werte schaffen, die über die scheinbar ökonomisch günstigste Lösung hinausgehen.

Denkmäler und Erinnerungsorte im "Rad- und Bahnhofsareal" (Dez. 2019)

Essay "Die Fassaden entsprechen nicht der heimischen Bauweise". Notizen über ein Haus in der Maximilianstraße (2020)

Als im Jahr 1862 der reichsstädtische Werkhof aus dem Stadtbild verschwand, um Memmingen zum neuen Bahnhof hin zu öffnen, erstanden an Bahnhof- und Maximilianstraße mehrere Gebäude sowie die kleine Restauration „Zum großen Schoppen“ (Maximilianstraße 21). In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts scheiterten Erweiterungs- und Neubauplanungen an dieser Stelle an Einsprüchen von Nachbarn und Stadtverwaltung. „Die Facaden entsprechen nicht der heimischen Bauweise“, urteilte Stadtbaumeister Peter Lang 1906. Erst eine Überarbeitung der Fassadenentwürfe durch den Memminger Baumeister (und späterer Stadtkommandant des Memminger Räteregiments) Anton Nägele stieß auf allgemeine Zustimmung.

Textentwurf für eine Geschichtsstele am Bahnhof